Reisebericht Irak Oktober 2014

Auszug aus dem Bericht der Delegation der Caritas im Ruhrbistum im Oktober 2014 einer Reise in den Nordirak

…Wir fahren von Dohuk nach Zakho, einer 50 Kilometer von Dohuk entfernten Stadt. Normalerweise leben in Zakho etwa 250.000 Menschen. Jetzt sind in der Stadt und den 18 kleinen Dörfern in der Umgebung 1500 christliche und 10.000 jesidische Flüchtlingsfamilien, also rund 60.000 Menschen, gestrandet. Für die christlichen Flüchtlinge sucht die Kirche Wohnungen, allerdings gibt es hier in der Gegend viele weniger solcher Unterbringungsmöglichkeiten. Zurzeit leben die meisten noch in Schulen.

Gegen 11 Uhr besichtigen wir zwei Rohbauten in Zakho, in denen jesidische Flüchtlinge leben. Die Umstände sind absolut prekär und menschenunwürdig. Die beiden Gebäude sind lediglich Beton-Skelette. Eines ist zweistöckig, das andere siebenstöckig. Das ganze hat absoluten Baustellen-Charakter, die Umgebung der beiden Häuser ist matschig, dreckig, voller Schutt. In den Gebäuden selbst haben sich die Flüchtlinge mit Decken, Teppichen und Zelten notdürftig eingerichtet, mit Planen versuchen sie sich vor dem Wind zu schützen. Im kleineren Gebäude wohnen 18 Familien, in dem größeren 160. Wir besichtigen den ersten Stock des kleineren Gebäudes. Dort haben sich die Flüchtlinge mit blauen Plastikplanen Wohnbereiche abgespannt, auf dem Boden liegen einige Matratzen und Decken. Es ist kalt. Kerosin zum Heizen haben sie nicht. Die Flüchtlinge erzählen, dass sich niemand um sie kümmert, dass sie kein Geld und nur selten etwas zu Essen haben.

Die gleichen Aussagen hören wir im Stockwerk darüber von Hag Murad Taalo (geb. 1945), dem Oberhaupt von zwei Familien mit 13 Angehörigen. Die Familie stammt aus Sindschar (Singal). Einige Familienmitglieder waren unter denjenigen Jesiden, die im Sindschar.Gebirge eingeschlossen waren. Taalo erzählt, dass die Familie von den YPG bzw. der PKK gerettet und durch Syrien in den Irak geschleust wurde. Die Familien leben seit fast drei Monaten hier und haben bislang einmal Lebensmittelpakete bekommen. Ansonsten schlagen sie sich irgendwie durch. Noch schlimmer soll die Situation für etliche jesidische Familien in der Nähe von Dohuk sein, die dort ohne irgendeinen Schutz vor der Witterung unter freiem Himmel campieren sollen. Wir beschließen, die 60.000 Euro Nothilfe, Spendengelder der Caritas im Ruhrbistum,die aktuell überwiesen wurden, für die Versorgung von insgesamt 700 jesidischen Familien aufzuwenden (400 in Zakho, 300 in Dohuk). Klar ist: Wenn in Zakho nicht schnell etwas geschieht, werden dort etliche Menschen den Winter nicht überstehen.

Grundsätzlich seien alle Offiziellen und Helfer am Rande des Machbaren, niemand habe mit einer so großen Flüchtlingswelle und einer solchen Dauer des Dramas gerechnet (lt. kurdischen Medien sind jetzt 1,8 Mio Flüchtlinge in der autonomen Region Kurdistan.)

Caritas-Flüchtlingshilfe Essen: Zwei kleine „Deichmann-Flüchtlingsdörfer“ stehen bereits in Irakisch-Kurdistan Viele Lebensmittel und Hilfsgüter sind verteilt, aber die Lage bleibt dramatisch

Essen-Erbil-Dohuk (cde). Innerhalb eines Monats konnten in der Autonomen Region Kurdistan im Irak mit Mitteln der Deichmann-Stiftung 35 Container errichtet werden für obdachlose Flüchtlingsfamilien. Bei einer Reise im Januar informierten sich Vertreter der Caritas-Flüchtlingshilfe Essen vor Ort über die aktuelle Situation. Hier einige Auszüge aus dem umfangreichen Reisebericht:

Wir haben auf der Reise die ordentliche Verwendung der Mittel überprüft, die wir Erzbischof Nona, dem Leiter des Bischofskomitees für die Flüchtlinge im Nordirak, zur Verfügung gestellt haben (129.846 Dollar). Er hat für 32.900 Dollar insgesamt acht Container für jesidische Flüchtlinge und für 84.500 Dollar 27 für christliche Flüchtlinge gekauft. Die übriggebliebenen 28.581 Dollar haben wir für den Einkauf von Kerosin, Lebensmitteln und anderen Hilfsgütern aufgewendet, die wir verteilt haben.

Dank unserer kurdischen Freunde haben wir für dieses Geld viele Hilfsgüter kaufen können: Insgesamt konnten wir für 840 christliche Familien in Ankawa Kerosin und Lebensmittelpakete (je 2 Dosen Tomatenmark, 2 Flaschen Speiseöl, 5 Stück Seife, 5 Kilo Reis, 5 Kilo Waschpulver) erwerben. Für 61 kurdische Flüchtlings-Familien aus dem syrischen Kobane haben wir 200 Matratzen, 200 Kopfkissen und 200 Decken gekauft. 1200 Dollar Bargeld haben wir an bedürftige jesidische Flüchtlingsfamilien verteilt Außerdem haben wir für das Oberhaupt der Jesiden in Lalisch für umgerechnet 10.000 Euro Lebensmittel sowie Pakete mit Mundschutz und Schutzkleidung für die Erstversorgung von Flüchtlingen zugesagt.

Generell sei die Lage etwas entspannter geworden, erzählt Erzbischof Nona. Mittlerweile hätten 5000 Flüchtlinge den Irak verlassen. Trotzdem nehme der Bedarf für die Unterbringung von Flüchtlingen zu, da denjenigen, die sich in Häuser eingemietet haben, allmählich das Geld ausgehe. Außerdem gebe es Probleme bei der medizinischen Betreuung der Flüchtlinge. Der Aufstellung von Containern in Erbil steht Nona zunehmend kritisch gegenüber. Allein im Christen-Viertel Ankawa stünden jetzt 470 Container.
Prekär sei die Versorgung mit Lebensmitteln. Das World Food Programm (WFP) habe bislang erst einmal eine Aktion für 6000 Familien gemacht und pro Familie 30.000 Dinar, etwa 20 Dollar ausgegeben. Kirche in Not habe einmal Geld und Tüten mit Spielzeug verschickt. Generell sei das Engagement ausländischer Hilfsorganisationen seit der großen Hilfswelle im vergangenen Sommer drastisch zurückgegangen. Auch die kurdische Regionalregierung und die zentralirakische Regierung täten wenig für die Flüchtlinge – Erbil sei militärisch zu sehr mit dem Kampf gegen die IS-Terrormiliz beschäftigt, Bagdad zu sehr mit sich selbst.

Nona plädiert dafür, vor allem im Norden, bei Dohuk, Hilfe zu leisten. Insbesondere den Jesiden dort gehe es sehr schlecht, die meisten lebten noch in Zelten.

Anders als Erzbischof Nona hält PetrosMoshe, der syrisch-katholische Erzbischof von Mossul, den Aufbau von Wohncontainern in Erbil für dringend geboten. Von den insgesamt 13.600 christlichen Flüchtlingsfamilien hier betreue er 7600. 5000 Familien seien nicht mehr in der Lage, die Miete für die Häuser zu bezahlen, in denen sie zurzeit lebten. 450 Familien, die derzeit in einer Shopping-Mall untergebracht seien, stünden dort vor dem Rausschmiss. Er plädiert für eine Container-Lösung, bei der sich zwei Familien ein in den Container integriertes Bad teilen.
Der Gouverneur von Erbil habe ihm im November den Bau von 1000 Containern zugesagt, so Moshe weiter, einige Container stehen schon, die Erschließung läuft. Probleme bereitet auch ihm die Lebensmittelversorgung der Flüchtlinge. Außerdem gebe es zu wenig Wasser. So würden für 250 Familien lediglich drei Lastwagen mit Wasser am Tag kommen.
Moshe wäre es lieber, wenn ausländische Hilfsmittel auch von ausländischen Organisationen verwaltet und eingesetzt würde.

Zur Deichmann Aktion:

Die sechs plus zwei Container in Erbil-Ankawa sind vor zwei Wochen um eine Schule herum aufgebaut worden. Untergebracht sind dort jesidische Flüchtlinge aus der Ortschaft Bashika. Fahmi Slewa, der Generaldirektor für Bildung der Provinz Erbil, berichtet bei dem Besuch, dass in dem Zentrum insgesamt 47 Familien leben. Da noch einige der Klassenräume mit Flüchtlingen belegt sind, finde der Unterricht für die Kinder dort wechselweise vor- und nachmittags statt.

Besichtigung des Container-Dorfs in Enischke:

Enischke ist ein kleines christliches Dorf, etwa 50 Kilometer entfernt von Dohuk, umgeben von Bergen und einer wundervollen Landschaft. Vor dem Flüchtlingsdrama lebten in Enischke 80 christliche Familien, jetzt sind es doppelt so viele. Dazu kommen etwa 100 jesidische Familien, die sich in Ruinen einquartiert haben.

Das Deichmann-Container-Dorf ist neben einer Schule aufgebaut, in der bereits zahlreiche christliche Flüchtlinge untergebracht worden sind. Die insgesamt 25 Wohncontainer sind mit einer einfachen Lüftung ausgestattet und eng nebeneinander aufgebaut worden. Die beiden Badcontainer verfügen über je drei Waschbecken, Toiletten und Duschen. Abflussrohre sind verlegt, der Platz selbst ist mit Kies bedeckt, um zu vermeiden, dass er sich nach den hier üblichen starken Regenfällen in eine Schlammwüste verwandelt. Das Ganze macht einen soliden Eindruck.

Zur Allgemeinen Lage:

Einige befreundete christlichen Familien berichten von einem etwas ungewöhnlichen Vorgang: Ein chaldäisch-katholischer Priester aus München hat ein Schreiben verschickt, in dem die Christen im Irak aufgefordert werden, sich registrieren zu lassen, um nach Deutschland ausreisen zu können (falls sie dort bereits nahe Verwandte haben). Dies sei mit der Bundesregierung abgestimmt. Ob diese Behauptung zutrifft, haben wir nicht überprüft. Jedenfalls habe das Schreiben in den vergangenen Tagen für großes Aufsehen in der christlichen Gemeinschaft gesorgt, innerhalb von zwei Tagen hätten sich 13.000 Menschen registrieren lassen. Die meisten Priester hätten ihre Angehörigen bereits ins Ausland geschickt. Auch diese Familien selbst wollen ihre Angehörigen außer Landes bringen. „Man fühlt sich hier nicht mehr sicher, es könnte jede Sekunde etwas passieren. Ich hätte niemals daran gedacht, dass ich jemals darüber nachdenken würde, meine Familie wegzuschicken“, so ein Regierungsmitarbeiter. Die Lage werde für die Christen aber Tag für Tag schlechter, insbesondere in Kirkuk und Bagdad. Auch die bislang guten Beziehungen der Christen zu den sunnitischen Kurden seien immer angespannter. Christliche Kinder würden in der Schule beschimpft, „Wir haben immer versucht, mit den Kurden und mit den Arabern zurechtzukommen. Aber der Rassismus nimmt zu.“

Scroll to Top