Reisebericht: Irak Reise vom 29. Mai bis 2. Juni 2013
Teilnehmer:
- Rudi Löffelsend, Beauftragter der Caritas Essen
- Thomas, Dolmetscher
- Sonja Winterberg, freie Journalistin
Ziele der Reise:
- Übergabe von Hilfsgütern für Säuglinge im Flüchtlingscamp Domiz
- Besichtigung der neu eingerichteten Bäckerei in Karakosh
- Gespräche mit den Verantwortlichen der Regionalregierung bezüglich des Flüchtlingscamps für Flüchtlinge aus Syrien
- Gespräche mit den Erzbischöfen von Mosul und Erbil über die allgemeine Situation der Christen
- Verteilung weiterer Hilfsgelder
- Sammeln von allgemeinen Eindrücken (die nachfolgenden Teile finden sich im Zeitplan wieder, allerdings nicht in dieser Reihenfolge)
Zeitplan der Irak-Reise vom 29. Mai bis zum 2. Juni 2013
Mittwoch, den 29. Juni
06:00 Uhr Ankunft Flughafen Düsseldorf | Abfertigung beim Zoll wegen Geldtransfer
07:15 Uhr Abflug mit Austria Airlines nach Wien
15:00 Uhr Abflug mit Austrian Airlines nach Erbil
18:00 Uhr Treffen mit den Erzbischöfen von Mosul und Erbil
20:00 Uhr Abendessen mit irakischen Freunden
Donnerstag, den 30. Juni
9:00 Uhr Treffen mit dem deutschen Generalkonsul im Generalkonsulat
10:15 Uhr Weiterfahrt nach Dohuk
12:30 Uhr Eintreffen im Flüchtlingscamp Domizil, Gespräche mit der Campleitung, Interviews mit dem kurdischen Fernsehen | Verteilung von Hilfsgütern
14:00 Uhr Treffen mit dem Gouverneur von Dohuk in seinem Privathaus
18:00 Uhr Besuch im Frauenhaus in Dohuk, Gespräch, Besichtigung
Freitag, den 31. Juni
9:00 Uhr Treffen mit dem Projektmanager des Frauenhauses
10:00 Uhr Fahrt nach Karakosch/Ninive
12:30 Uhr Ankunft, Treffen mit dem Weihbischof und weiteren Priestern, Mittagessen
14:00 Uhr Besichtigung der von uns finanzierten Bäckerei
15:00 Uhr Besichtigung der neu eingerichteten Ambulanz im der Flüchtlingssiedlung für Flüchtlinge aus Mosul
16:00 Uhr Rückfahrt, viele Kontrollen
18:00 Uhr Ankunft in Erbil
Samstag, den 1. Juni
10:00 Uhr Treffen mit einigen irakischen christlichen Kaufleuten
11:00 Uhr Besichtigung des Großmarktes von Erbil
13:00 Uhr Treffen mit dem Gouverneur von Erbil, langes Gespräch wegen Errichtung eines neuen Flüchtlingscamp in der Nähe von Erbil
Abends: Fahrt in die Berge, Grillabend mit einigen kurdischen Freunden
Sonntag, den 2. Juni
8:30 Uhr Fahrt zum neuen Flüchtlingslager von Bärbel, ca. 30 km vom Stadtkern entfernt
12.00 Uhr Mittagessen mit engagierten kurdischen Männern, um weitere Sammelaktionen im Lande abzusprechen
14:00 Uhr Fahrt zum Flughafen
16:00 Uhr Abflug er will mit Austrian Airlines
20:00 Uhr Weiterflug ab Wien nach Düsseldorf
22:00 Uhr Ankunft Düsseldorf
Gespräch mit dem Gouverneur von Erbil, Nawzad Hadi Mawlood
Ein eindringliches Gespräch hatten wir mit dem Gouverneur von Erbil, Nawzad Hadi Mawlood, der uns von früheren Reisen kannte. Er berichtete, dass inzwischen in seinem Dresden Distrikt 38.000 Flüchtlinge aus Syrien leben, „überall, in Rohbauten, in Parks, unter Brücken, in Fabriken“. Und nicht alle wären registriert, sodass die Zahl auch noch höher sein könnte. So hätte sich seine Regionalregierung entschlossen, neben dem Flüchtlingscamp in Dohuk auch in Erbil ein geordnetes Lager zu errichten.
„Wir wollen aber aus den Fehlern in Dohuk lernen und so vermeiden, dass wir direkt am Anfang zu viel falsch machen.“ Aber er meinte, dass er und seine Mitarbeiter überfordert wären, weil ihnen die Erfahrung fehlen würde. Die Mitarbeiter verschiedener UN Organisationen würden helfen, aber hier sind die meisten schon in den anderen Ländern, in denen es Flüchtlingslager gibt, eingesetzt, so der Gouverneur.
Sie haben nun ca. 30 km von Erbil entfernt ein großes Gelände angemietet, um dort ein Flüchtlingslager für ca. 20.000 Personen zu errichten. Dafür habe er alle Baumaschinen seiner staatlichen Stellen dorthin beordert und entsprechendes Fachpersonal. Große Schwierigkeiten mache dort die Wasserversorgung: Sie wollen eine Wasserleitung Bonn von einem See dorthin, um die Versorgung mit Tankwagen zu vermeiden. Wir diskutierten dann lange über Sicherheitsmaßnahmen, zum Beispiel breite Rettungswege, ausreichendes Material zur Feuerbekämpfung und Ähnliches.
„Bitte helfen Sie uns, beraten Sie uns, begleiten Sie uns. Und vor allen Dingen: Bitten Sie die anderen großen Hilfswerke, auch in Kurdistan die Hilfe für die Flüchtlinge zu verstärken, so wie es zum Beispiel im Libanon und Jordanien im großen Umfang passiert. Wir haben schon viele Millionen Dollar investiert und tun das auch gerne, aber uns fehlt die Erfahrung und die brauchen wir von außen."
Auf meine Frage, ob er schon mit den Leitern der rund 30 Generalkonsulaten in seiner Stadt Kontakt aufgenommen habe, um darüber weitere Hilfe zu erhalten, sagte der Gouverneur, dass dies eine sehr gute Idee sei und dies noch nicht geschehen wäre.
Wir haben den Platz, auf dem das neue Lager entstehen soll, am nächsten Tag besucht und unsere Eindrücke sind zwiespältig: Der Platz liegt fast 30 km vom Stadtzentrum von Erbil entfernt und rund 10 km von der nächsten wahrnehmbaren Ortschaft, ein öffentlicher Nahverkehr existiert nicht. Das Gelände ist leicht hügelig, sodass umfangreiche Arbeiten notwendig sind, um eine Ebene herstellen zu können, auf der auch Zelte platziert werden können. Entscheidend wird werden, ob es gelingt, bei Starkregen das Wasser vernünftig ableiten zu können, damit nicht ein ähnliches Chaos entsteht, wie es in Dohuk im letzten Winter entstanden ist. Wir werden diese Bedenken dem Gouverneur noch mitteilen.
Gespräch mit dem Erzbischof von Mosul, Amel S. Nona und kurzzeitig EB Warda, Erbil
Der Erzbischof der katholischen Chaldäer in Mosul, Amel Nona, dessen Vorgänger vor drei Jahren ermordet wurde, berichtete, dass im Moment täglich 5-10 Menschen in Mosul durch radikale Kräfte getötet würden. Auch er selber fühlt sich nicht mehr sicher, aber erfüllt dort seinen Dienst. Er „muss doch bei den Menschen dort bleiben, als ihr Bischof“.
„Wir denken nicht groß über die Zukunft nach", sagt Nona im Gespräch. „Wir sind froh um jeden Tag.“ Eindringlich schilderte er die Lage der Christen, die noch in Mosul geblieben sind. Ca. 700 Familien, die vorwiegend in der Altstadt unter schlechten Bedingungen leben. „Sie alle haben große Erwartungen auch an mich, dass sie hierbleiben können und überleben können.“ Diese Menschen gehören zu denen, denen noch nicht einmal die Flucht gelungen ist, auch nicht in die nahe Ninive-Ebene. Dort leben mehrere 1000 seiner „Diözesanen“ in den Dörfern und kleinen Städten. Dort sind auch Flüchtlinge aus Syrien hingekommen, die zum Teil die wenigen Arbeitsplätze auch noch streitig machen. Selbst im Mosul hat es syrische Flüchtlinge verschlagen.
Wir haben Erzbischof Nona 5,7 Millionen irakische Denar (5000 €) dagelassen, um den Familien etwas helfen zu können.
Der später hinzugekommene Erzbischof von Erbil, Warda, kam just in diesem Moment aus Australien wieder, wo er mit den irakischen Bischöfen war und anschließend zwei Wochen Urlaub gemacht hat. Ich habe besonders nach den Fortschritten bei der Errichtung des Koordinierungsbüros für ausländische Hilfen für die irakische Kirche gefragt. Hier wurde ich verwiesen auf eine Anfang Juni stattfindende große Konferenz oder Synode der irakischen Bischöfe, wo dies endgültig geklärt werden soll. Inzwischen sei aber ein amerikanischer Christ in Erbil „installiert“, der bei der Beantragung helfen soll. Was die deutschen Hilfswerke angeht, habe ich meine persönlichen Bedenken geäußert.
Gespräche mit dem Vorsitzenden des Innen- und Sicherheitsausschusses des irakischen Parlamentes, Shwan Taha und der Parlamentarierin Peryazad Sha'aban
Ebenfalls am Samstag traf eine Delegation der Caritas aus dem Bistum Essen unter anderem mit dem Abgeordneten Shwan Taha zu einem Gespräch in Erbil zusammen. „Die Lage außerhalb Kurdistans verschlimmert sich seit Monaten. Ich glaube fest daran, dass wir eines Tages wieder Frieden im ganzen Land haben werden, aber erst nach einem neuen Krieg.“ So pessimistisch das klingen mag, so erstaunlich ist die Lage in der Provinz Kurdistan. Die fünf Millionen Einwohner, die für ihre Kultur der Gastfreundschaft bekannt sind, haben im vergangenen Jahr klaglos über 140.000 Flüchtlinge aus dem Syrienkonflikt aufgenommen. Und auch der Strom der Binnenflüchtlinge aus dem Südirak reißt nicht ab.
Peryazad Sha'aban, die erste Parlamentarierin Kurdistans, ist mit Shwan Taha und der deutschen Delegation zum Besuch ins Camp Domiz gekommen. Sie zeigt sich erschüttert. „Pausenlos gibt es Konflikte mit der Regierung in Bagdad um Öl und Geld, dabei wird vergessen, dass wir hier eigentlich gerade ganz andere Probleme haben.“ Es ist der erste Besuch der beiden Abgeordneten in einem Flüchtlingslager. Dabei ist der jungen Sha'aban das Thema vertraut. Sie selbst ist als Flüchtling in Schweden aufgewachsen und erst 2009 mit Mann und Kindern wieder nach Dohuk zurückgekehrt. Die Hilfe aus Deutschland bewegt sie. Vor laufenden Fernsehkameras dankt sie der Delegation für ihr Kommen. „Es ist nicht nur die materielle Hilfe, die Sie mitbringen. Wir schätzen Ihre Freundschaft.“
Shwan Taha verabschiedet sich. Er ist Mitglied des Sicherheitsausschusses im Parlament. Jeder Tag dreht sich für ihn um Einschätzungen, Interviews und Briefings zur Lage – auch in der Region Kurdistan. Der Frieden und die boomende Wirtschaft sind eine delikate Angelegenheit. „Seit Jahren haben wir keine Terroranschläge mehr. Doch ein einziger würde reichen, um unsere ganze Mühen zunichte zu machen.“ Touristen und Investoren wären auf Jahre abgeschreckt.
Flüchtlingslager Domiz und Besuch beim Gouverneur von Dohuk, Tamar Fattah
Wie verzweifelt die Lage ist, sehen wir auch beim Besuch im Flüchtlingslager Domiz auf Fronleichnam in der Nachbarprovinz Dohuk. Ursprünglich geplant für 8.000 Bewohner hat die Zeltstadt biblische Ausmaße angenommen. 80.000 Menschen leben hier inzwischen und immer noch werden täglich Neuankömmlinge registriert. Die Caritas Essen hat im Land 90.000 Windeln, Seife und Babypuder, 2 Tonnen Milchpulver und 1 Tonne Proteinkekse besorgt. Durchfallerkrankungen gehören zum Alltag im Lager und können für die Kleinsten schnell lebensbedrohlich werden. Ein anderes Problem ist die ständige Brandgefahr durch offene Feuer in den Zelten. Erst in der vergangenen Woche, erzählt der Gouverneur von Dohuk, Tamar Fattah, sind zwei kleine Kinder bei einem Zeltbrand ums Leben gekommen. Löschfahrzeuge gibt es nicht im Camp und auch einfachste Mittel zur Brandbekämpfung fehlen. Und er bittet, wie sein Kollege in Erbil darum, dass weitere internationale Hilfsorganisationen mithelfen bei den Flüchtlingscamps. „Wir sind allein gelassen im Unterschied zu den anderen Aufnahmeländern, helfen Sie, auf unsere Lage aufmerksam zu machen“, ist seine dringendste Bitte. Der Unterzeichner hat nun einige Aufträge mit nach Deutschland genommen, diese Dinge für die Regierung zu besorgen.
Karakosh: Erfolgreiches Projekt besichtigt, direkt Neues mit auf dem Weg bekommen….
In Karakosh, einer Stadt von 35.000 Einwohnern in der Ninive-Ebene, nah an Mosul: Es ist die größte christliche Stadt des Iraks und Zufluchtsort für viele Binnenflüchtlinge. Die Delegation ist zu Gast im Priesterseminar der syrisch-katholischen Kirche. Die klösterliche Stille des Ortes ist wohltuend. Und er scheint auch den Geistlichen Kraft zu geben. So ernsthaft die jungen Priester einerseits wirken, so heiter geht es beim gemeinsamen Essen zu. Sie freuen sich über den Besuch aus Deutschland und erzählen stolz von der Bäckerei, die sie aus Caritas-Spenden aus Essen vom Vorjahr mit aufgebaut haben. Acht Familien bestreiten durch die Arbeit dort nun ihren Lebensunterhalt. Beim Rundgang durch die Backstube wird schnell klar, dass hier ein kleines Wunder geschehen ist. Durch sorgfältiges Wirtschaften und mit viel Sachverstand hat es die Gemeinde geschafft, tatsächlich eine kleine Backstraße einzurichten. Das ungesäuerte Brot, das ein Lehrling am Ende auf kleinen Stapeln ordnet, ist lecker und knusprig. Die Mittel aus Deutschland sind gut angelegt. Beim obligatorischen Abschlussfoto vor dem Laden ruft einer der Bäckerjungen: „Aber das Schild muss auch zu sehen sein!“ Sie sind stolz auf ihre Bäckerei – die einzige der ganzen Stadt.